Der Stadtsoziologe Mike Davis hat eine Art Kulturgeschichte der Viren erarbeitet. Die Vogelgrippe, die seit ein paar Wochen wieder in aller Munde ist, ist Davis zufolge keine Mutationslaune der Natur, die aus unberechenbarer genetischer Kombinationslust hervorgeht, sondern beinahe zwangsläufiges Ergebnis kapitalistischer Marktdynamik, die industrielle Massentierhaltung, unzureichende Hygiene und die abrupte Veränderung regionaler Ernährungsgrundlagen zu einer explosiven biologischen Bombe zusammenbrauen. Das Überspringen der Artengrenze, die Möglichkeit einer viralen Infektion von Mensch zu Mensch, die die Gefahr einer Pandemie erst heraufbeschwört, trat Davis zufolge in den vergangenen zehn Jahren stets dort auf, wo massiv in die traditionellen Arbeits- und Lebensbedingungen eingegriffen wurde. ... Man tut Davis nicht Unrecht, sein Buch als Doku-Thriller zu bezeichnen, der nicht davor Halt macht, die verheerende Wirkung der Viren an die Wand zu malen, die stets zuerst die Armen in den urbanen Zentren trifft. Was nun als unheimliche Bedrohung über die Vogelflugrouten heraufzieht, beschreibt Davis als vergleichsweise langsame Geschichte von politischen Fehleinschätzungen und Versäumnissen. Frühe wissenschaftliche Erkenntnisse wurden systematisch in den Wind geschlagen, und noch immer scheint die pharmazeutische Industrie nicht gewillt, in die Produktion von Medikamenten zu investieren. Verdienen, so Davis' trockenes Fazit, lässt sich erst an der Epidemie, aber nicht an deren Vorbeugung.
Harry Nutt, Frankfurter Rundschau, 2.11.2005
95 Prozent der Produktion von Impfstoffen und Medikamenten landet - laut Davis - in den reichen Ländern der Erde.
Regina Bartel, Wir hängen am Huhn, der Freitag, 25.11.05 mehr ...
Die biologischen Voraussetzungen, vor allem aber die Auswirkung von Kapitalinteressen auf Entstehung, Ausbreitung und Bekämpfung eines solchen „Menschenfresservirus“ beschreibt der Autor mit kriminologischer Leidenschaft. Industrielle Massentierhaltung, die Lebensbedingungen asiatischer Slumbewohner, Profitgier und politische Geheimniskrämerei tragen zu einer explosiven Situation bei. Die Armen vor allem in der so genannten Dritten Welt würden Hauptopfer einer Pandemie. Doch auch bei uns hätte ein „gesund“ geschrumpftes Gesundheitswesen kaum die Voraussetzungen, zigtausende Schwerkranker zusätzlich zu versorgen.
Knauf, verdi publik, Dezember 2005
Mit beeindruckendem Sachverstand auch in Fragen der Naturwissenschaft geht Davis vor allem den gesellschaftlichen Bedingungen und Aspekten dieser globalen Krankheitsökologie nach.
Christoph Jünke, Die Enten der Apokalypse, junge welt, 8.12.2005 mehr ...
Für Mike Davis ist die Vogelgrippe eine existenzielle Prüfung für die Solidarität unter den Menschen.
Harald Jähner, Berliner Zeitung, 20.2.2006
Davis geht fast kriminologisch vor, in seinen Ermittlungen nach den Wurzeln der tödlichen Viren, seinen Auswirkungen und Hintergründen. Die Opfer so sein Ergebnis sind in der Regel die Armen in den Megastädten, die ohne medizinische Versorgung und unter schlechtesten Lebensbedingungen einer hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Einige Kritiker hatten sein Buch über Vogelgrippe Ende letzten Jahres bereits als nicht überzeugendes Katastrophenbild abgetan. Nun entwickelt sich der Virus aber ähnlich - wie bei Mike Davis eigentlich relativ nüchtern und überzeugend beschrieben hat - zum Dauerthema, auch für Europa. Dagegen wirken nun die Pressemeldungen und Fernsehberichte eher als panisch, die Grenzkontrollen bei Reisenden aus der Türkei, Notschlachtungen und fehlende Medikamente zu verstehen versuchen. Wen das irritiert, der sollte noch einmal nachschlagen: und wird bei Mike Davis vielleicht keine beruhigenden Tatsachen finden, vielmehr eine Warnung ... und einige interesasante historische und gesellschaftliche Zusammenhänge.
Markus Kilp, Radio Palmares
Zunehmender Ferntourismus, die „industrielle Revolution“ der Massentierhaltung und die beschleunigte Verstädterung der Dritten Welt potenzieren den Ausbruch globaler Viruspandemien. Am Beispiel der südchinesischen Provinz Guangdong exemplifiziert Mike Davis eine fatale Logik: Die Mega-Urbanisierung der Dritten Welt und die steigende Nachfrage nach tierischen Proteinen in Schwellenländern, vor allem in China, führte zu einer ungeheuren Zunahme von Hühner- und Schweinepopulationen auf engstem Raum. Agroindustrielle Intensivhaltung, oft unter Umgehung hygienischer und tiermedizinischer Standards, beschleunigt den Ausbruch viraler Seuchen und deren Übergreifen gerade auf die Armen der Ärmsten in den Slums der Megastädte.
Monika Thees, Berliner Literaturkritik
Die befürchtete Katastrophe ist also "keine Seuche aus alten Zeiten, die aus dem Tiefschlaf geweckt wurde, wenn so etwas überhaupt unabhängig von spezifischen historischen Gegebenheiten existieren kann, sondern etwas gänzlich Neues, zu dessen Entstehung wir ungewollt, aber entscheidend beigetragen haben".
Ronald Düker, NETZEITUNG
Davis’ Bilanz lautet: Es gibt eine tödliche Gefahr. Sie geht weniger von den Schwänen auf Rügen aus als von einer Kombination aus Massentierhaltung und Armut, globalem Pharmabusiness und bornierten Nationalstaatsinteressen. Bisher scheinen wir einfach Glück gehabt zu haben. Der Ausbruch einer Grippepandemie, da ist sich Davis mit der WHO und den meisten Influenzaforschern einig, ist nur eine Frage der Zeit. Wie viele Opfer er fordern wird, ist eine Frage der Politik.
Ferdinand Muggenthalter, Alle Viren sind schon da, Jungle World 13/2006 mehr ...


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