Gut acht Monate nach seinem Ende ist im Dezember 2006 eine außerordentlich lesenswerte Dokumentation über den Gate-Gourmet-Streik erschienen, herausgegeben von jenen "umherschweifenden Streikposten" ("Flying Pickets"), die den Kampf intensiv unterstützt haben. ... Am Anfang handelte es sich in Düsseldorf um eine "normale" Lohntarifrunde, wie sie durch nationalstaatlich organisierte Arbeitsmarktparteien reguliert wird. Doch je länger der Streik andauerte, desto deutlicher wurde die exemplarische Dimension: Tatsächlich ging es nicht nur um die Lohnhöhe, sondern um die von der Firma geforderte umfassende und andauernde Verfügbarkeit, um die Durchrationalisierung des Betriebes durch die Unternehmensberatungsfirma McKinsey und um die Rolle des Finanzinvestors TPC. ... Doch weder die HerausgeberInnen noch die Interviewten betreiben Gewerkschaftsbashing, sondern zeichnen sehr differenziert nach, welche Konflikte es um die Politik der NGG auf den verschiedenen Organisationsebenen gab. Auch hierin liegt eine Stärke des Buches. ... Neben etwas wenig zugespitzten Beiträgen zum Motivationsmix der UnterstützerInnen findet sich in dem Buch auch eine Auseinandersetzung mit der exemplarischen Bedeutung einer Unternehmenspolitik à la McKinsey. Detlef Hartmann schildert sie als eine neuartige Form der Einbindung, als einen Zwang zur Selbst-Maximierung der Produktivität, die stärker als in der Vergangenheit einen Eingriff in die Motivations- und Psychostruktur der Beschäftigten anstrebt. Hartmann schlägt deshalb eine andere Art der "Übersetzung" des Streiks vor: Eine abstrakte "Klassenanalyse" wird der Konstellation, die sich in dem "mikroskopisch" dargestellten Kampf ausdrückt, nicht gerecht. Die sozialen Kämpfe müssen nunmehr durch das Nadelöhr dieser Selbst-Inwertsetzung hindurch, überall, nicht nur im Betrieb. In einer Zeit, in der brauchbare Analysen sozialer Kämpfe fehlen, ist ein Buch wie das Gate-Gourmet-Buch wichtig. Auch wenn die HerausgeberInnen sich am Ende zu zwei, drei dunklen Sätzen über böse IndustriesoziologInnen und ihnen ebenso unsympathische PoststrukturalistInnen hinreißen lassen, und auch wenn einige Kürzungen sicher nicht geschadet hätten: Es ist zu hoffen, dass Erfahrungen, die das Buch vermittelt, aufgegriffen werden.
Peter Birke aus ak
Nadja Rakowitz aus express 5/2007 mehr ...
Die verlässlichste Form gemeinschaftskundlicher Erwachsenenbildung im Kapitalismus ist der Arbeitskampf. ... Wie war das noch? Die Arbeitsniederlegung ist kein Druckmittel mehr, weil Produktionsstandorte bei allzu anspruchsvollem Betragen der Belegschaften einfach in irgendwelche Niedriglohnsümpfe verlegt werden? Dann verlegen Sie mal einen Flughafen, viel Glück! An genau diesem Punkt setzt die hochinstruktive (und anders als die zahlreichen moralisierenden Sozialreportagen aus alten fordistischen Zeiten sogar unterhaltsame) Geschichte ein, die das Buch "Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet" des Editionskollektivs "Flying Pickets" erzählt. ... Die unter neoliberalen Vorzeichen verfügbaren Kampfmittel der Besitzenden zur Disziplinierung unbotmäßiger Arbeitskräfte verhalten sich zur malerischen Vorstellung symmetrischer Verhandlungen wie schwerer Artilleriebeschuss zu den Spielregeln von "Mensch, ärgere dich nicht". ... Das Geld, das von überallher Arbeit ansaugt und zu mehr Geld verarbeitet, agiert heute international - gerecht ist also, wenn die Arbeit nun ihrerseits international agieren lernt und die Erfahrungen von Gegenden, in denen es mit sozialdemokratischen Ideen nie besonders weit her war, nun auch den Menschen hierzulande zugute kommen. Die Manieren leiden zwar ein bisschen, aber dafür gewinnt die Sache an Übersichtlichkeit... Magenstärkend ist an den in der Chronik geschilderten Vorgängen, dass auf Lafontaine oder irgendeinen anderen Messias zumindest nicht alle warten, bauen und vertrauen, die von der jüngsten Neuorganisation der weltweiten marktvermittelten Produktion und Bewirtschaftung der zweiten Natur erfasst werden. Zumindest einige von ihnen haben schon mal vor jeder neuen Wende in der linken Theorie oder Politik angefangen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die ganz ähnlich einst bei der Schaffung von etwas genutzt wurden, das Arbeiterbewegung hieß. ...
Dietmar Dath Nützliche Sozialkunde aus FAZ
Flying Pickets, herumschweifende Streikposten, nennen sich die Herausgeber des Buches "Auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet". Hinter den ungewöhnlichen Namen verbirgt sich eine Gruppe von sozialpolitisch engagierten Menschen aus dem Ruhrgebiet. Das Buch analysiert einen Arbeitskampf, der weitgehend in Vergessenheit geraten war. ... Auch die Herausgeber, die allesamt nicht zu den Beschäftigten gehören, haben den Streik erst nach einigen Wochen registriert und dann aktiv unterstützt. Sie haben also während des Arbeitskampfes tatsächlich als Flying Pickets agiert. Daher wird man natürlich keine objektive Geschichte über den Streik erwarten können. Die Herausgeber lassen keinen Zweifel an der Intention ihres Buches: "Diese exemplarischen Erfahrungen stehen hiermit für künftige Auseinandersetzungen zur Diskussion." Doch wer jetzt eine geballte Ladung Streikromantik erwartet, wird angenehm überrascht. ... Die Probleme der Gewerkschaftsarbeit in einer deregulierten und aufgegliederten Branche werden im Interview mit dem zuständigen NGG-Sekretär Axel Peters angesprochen. Aus anderen deutschen Gate Gourmet-Standorten kam trotz dringender Aufrufe der Streikenden wenig Unterstützung. Eine Erfolgsstory wird in dem Buch nicht geboten. Dafür eine Streikanalyse, die bei der Benennung von Fehlern und Widersprüchen des Aufbegehrens nicht ausspart und die Diskussion über die Schlussfolgerungen dem Leser überlässt.
Die Faust aus der Tasche geholt aus FR
Der Flughafen ist eine große Fabrik geworden, beherrscht von McKinsey. Diese zerlegen kollektive Arbeitsprozesse in lauter monotone Einzeltätigkeiten, damit alles schneller geht und ein Teil der Leute entlassen werden kann. Besonders aggressiv geht es bei dem internationalen Catering-Konzern Gate Gourmet zu. Was beim ersten Hinschauen nur wie der gängige kapitalistische Alltag aussieht, entwickelt sich in dem spannend geschriebenen Buch zu einem unglaublichen Polit-Krimi mit einem bewegenden Blick hinter die Kulissen. ... Das Streiktagebuch berichtet auf hohem literarischen Niveau über die Einzelheiten der Kämpfe gegen die Chefetage, StreikbrecherInnen und eingesetzte LeiharbeiterInnen, die den Streik zum Schrecken der ArbeiterInnen ins Leere laufen ließen. Sicher ging es von Seiten der Streikenden schon mal raubeinig zur Sache, doch die BerichterstatterInnen analysieren ihre Rolle in diesem Konflikt erstaunlich gründlich und selbstkritisch. ... Beim Lesen der lebendigen Interviews wird deutlich, dass die Unterstützung der Gewerkschaft NGG Grenzen hatte. Einerseits stellte sie eine materielle Struktur zur Verfügung, andererseits war sie überfordert. Die Belegschaft musste zur Kenntnis nehmen, dass ihre „Profis“ in Sachen ArbeitnehmerInnenrechte nach einigen Wochen Streik mit ihrem Latein am Ende waren und nur noch überlegten, wie sie aus dieser Auseinandersetzung so unbeschadet wie nur möglich wieder herauskommen könnten. ... Als Lehre aus diesen Auseinandersetzungen sollte auch mit nach Hause genommen werden, dass es für die zukünftigen Kämpfe wichtig ist, unabhängige UnterstützerInnen-Strukturen aufzubauen, da auf offizielle DGB-Gremien kein Verlass ist. ... Das Buch enthält eine Chronik, ein Glossar, viele Hintergrundinformationen und etwa einhundert farbige Fotos. Die gelungene Aufmachung und die ebenso spannend geschriebene wie lehrreiche Streikgeschichte ist vorbildlich.
Horst Blume Widerstand schmeckt uns! aus Graswurzelrevolution
Der Streik war ein Zeichen von Hartnäckigkeit und gleichzeitig eines der Schwäche. Anders als in England blieb eine breite Solidarisierung aus. Die Unternehmensspitze zeigte sich unnachgiebig und organisierte den Streikbruch mit Leiharbeitern. Weder der Gewerkschaft Nahrung-Genuß- Gaststätten (NGG) noch ver.di oder dem Kreis linker Unterstützer fielen passende Antworten ein. Den schließlich erreichten Abschluß empfanden die Streikenden keineswegs als Erfolg, dennoch ist ihr persönliches Fazit oft überraschend positiv. Der Ausstand war für sie ein Akt der Selbstbehauptung gegen die Zumutungen durch grenzenlose Verdichtung und Flexibilisierung. Bezeichnenderweise hing am Streikzelt lange ein Transparent mit einem einzigen Wort: »Menschenwürde«. In vielem war dieser Arbeitskampf typisch, auch für die Rolle der beteiligten Gewerkschaften. Ob in Nürnberg, Bochum oder zuletzt in Berlin, immer sorgte die Gewerkschaft zuverlässig dafür, daß der Ausstand pünktlich beendet wurde, bevor er die Produktion zum Stocken bringen und so Verhandlungsdruck erzeugen konnte. Das Buch ist sorgfältig gemacht, enthält viele Fotos und Interviews sowie eine ausführliche Chronik. Es ist ein Lesebuch, in dem viele Stimmen zu Wort kommen, von linksradikalen Theoretikern bis zu Arbeitern, die offenbar große Mühe haben, die sozialpartnerschaftliche Ideologie hinter sich zu lassen. Frei von Jargon und ideologischen Vorannahmen erscheinen die Verhältnisse so, wie sie sind. Die Leitfrage: Wie läßt sich heute Arbeitermacht entfalten? Wen das interessiert, der sollte sich die Neuerscheinung zulegen.
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